deutsches Recht

deutsches Recht
deutsches Recht,
 
das auf germanischer Grundlage erwachsene Recht der deutschsprachigen Länder, ein Tochterrecht des germanischen Rechts und als solches im Gegensatz zum rezipierten römischen Recht stehend, nicht gleichzusetzen mit der Gesamtheit des heute in Deutschland geltenden Rechts. Es umfasst sowohl öffentliches als auch privates Recht, eine Unterscheidung, die dem Mittelalter noch unbekannt war.
 
 Germanische Zeit und Mittelalter
 
Zunächst als mündlich überliefertes Gewohnheitsrecht durch die Volksgerichte (Ding) kleinstaatliche Verbände entwickelt, wurde das germanische Recht in der Völkerwanderungszeit zum Stammesrecht (germanische Volksrechte); hinzu trat im Fränkischen Reich das auf königlichen Verordnungen (Kapitularien) beruhende Reichsrecht. Als diese Quellen in Vergessenheit gerieten, entwickelte sich das Recht wieder allein durch mündliche Rechtsweisungen (Weistum) der Volksgerichte weiter. Seit dem 13. Jahrhundert gab es auch Urkunden in deutscher Sprache. Aus dem alten Stammesrecht wurde ein Landrecht für die Bewohner eines bestimmten Gebiets; hinzu traten Sonderrechte für gewisse Personenkreise und Berufe: Geistliche, Lehnsleute, Grundhörige. Die Gesetzgebung des Reiches im Mittelalter beschränkte sich auf einzelne Verfassungsgesetze (z. B. die Goldene Bulle) und den Landfrieden. Zur größeren Angleichung und Verbreitung des Rechts führten die im 13. Jahrhundert entstandenen privaten Rechtsbücher (Sachsenspiegel, Schwabenspiegel) sowie die Beleihung neu gegründeter Städte mit dem Recht einer älteren Stadt (Stadtrecht), deren Oberhof (Schöffenstuhl) Rechtsweisungen gab.
 
Inhaltlich ist das deutsche Recht des Mittelalters durch seinen starken sittlichen Gehalt sowie seinen genossenschatlichen und sozialen Geist geprägt. In Gestalt des Sachsenspiegels, des Magdeburger und Lübischen Rechts fand es Verbreitung im europäischen Osten auch außerhalb des deutschen Volks- und Sprachgebietes.
 
 
Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde das deutsche Recht immer mehr von fremden Rechten beeinflusst, am stärksten durch die Rezeption des spätrömischen Rechts und der zeitgenössischen italienischen Jurisprudenz. Das römische Recht sollte zwar nur ergänzend (subsidiär) gelten und die Land- und Ortsrechte vervollkommnen, doch wurden diese vielfach romanisiert. Gleichzeitig bewirkte der Übergang vom mündlichen Verfahren zum geheimen, schriftlichen Aktenprozess eine zunehmende Entfremdung von Volk und Recht. Die Rezeption erfolgte aber nicht gleichmäßig in ganz Deutschland; im Norden hielt sich generell das deutsche Recht stärker als im Süden, im Volksleben stärker als in den von der Gesetzgebung bestimmten Lebensverhältnissen. Unter einer dünnen Decke römischen Rechts, die die Juristen über das Rechtsleben breiteten, wirkte in den täglichen Gegebenheiten das deutsche Recht fort.
 
Schon unter den humanistisch geprägten Juristen des 16. Jahrhunderts fand das deutsche Recht Beachtung. Aber erst die Widerlegung der Lotharlegende (durch H. Conring, 1643), der zufolge König Lothar II. das römische Recht insgesamt als Kaiserrecht eingeführt haben sollte, führte zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem deutschen Recht, das im 18. Jahrhundert unter dem Einfluss des Naturrechts wieder zu einem maßgebenden Faktor für Gesetzgebung und Wissenschaft wurde. Sowohl die Kodifikationen der Naturrechtszeit als auch die im Rahmen der historischen Rechtsschule (F. C. von Savigny) und zeitweilig im Kampf gegen die Romanistik entwickelte Rechtsgermanistik (K. F. Eichhorn, J. Grimm, G. Beseler, O. von Gierke) legen Zeugnis davon ab. Sie deckte die gemeinsame Grundlage der deutschen Partikularrechte wieder auf und entwickelte aus ihrem Geist ein System des deutschen Rechts, das z. B. den Unterschied von Fahrnis- und Liegenschaftsrecht weit stärker betont als das römische Recht, andererseits aber Familien- und Erbrecht näher zusammenrückte. Die bedeutendste Wiederbelebung gelang der Germanistik mit der Genossenschaftslehre (G. Beseler, O. von Gierke). Im Prozessrecht brachte das 19. Jahrhundert die Rückkehr zum Grundsatz der Öffentlichkeit und Mündlichkeit. Ebenso wurden im öffentlichen Recht ältere Rechtsgedanken durch die Überwindung des absoluten Staates und die Erneuerung der Selbstverwaltung wieder belebt. Bedeutsam war v. a. die Verwirklichung der Rechtseinheit; so wurden etwa im Allgemeinen Deutsches Handelsgesetzbuch (1861) große Teile des Gesellschafts- sowie das Schuld- und Fahrnisrecht vereinheitlicht. Vollends in der Gesetzgebung des Deutschen Reiches seit 1871 verschob sich der Besitzstand weiter zugunsten des deutschen Rechts, v. a. infolge der fortschreitenden Durchdringung des Wirtschaftsrechts mit öffentlich-rechtlichen und sozialen Gedanken, ebenso im Arbeits- und Landwirtschaftsrecht. Das am 1. 1. 1900 in Kraft getretene BGB hingegen berücksichtigte das deutsche Recht nur punktuell. Im 20. Jahrhundert erfuhr die Entwicklung des deutschen Rechts durch die nationalsozialistische Herrschaft tief greifende Einschnitte. Den Niedergang deutscher Rechtsstaatlichkeit, den Teile der Justiz und Rechtswissenschaft noch beschleunigten, leitete die anlässlich des Reichstagsbrandes (27. 2. 1933 am 28. 2. 1933 verabschiedete »VO zum Schutz von Volk und Staat« (Reichstagsbrand-VO) ein; das Ermächtigungsgesetz vom 24. 3. 1933 sowie die Nürnberger Gesetze vom September 1935 setzten den Prozess fort. Nach 1945 vollzog sich die Entwicklung des deutschen Rechts in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) und der Deutschen Demokratischen Republik bis zur Wiedervereinigung (3. 10. 1990) in unterschiedlichen Bahnen und Anknüpfungen.
 
 
Deutschrechtl. Beitrr. Forschungen u. Quellen zur Gesch. des d. R., hg v. K. Beyerle, 4 Bde. (1906-09);
 H. Coing: Epochen der Rechtsgesch. in Dtl. (41981);
 H. Hattenhauer: Die geistesgeschichtl. Grundlagen des d. R. (31983);
 H. Mitteis: Dt. Rechtsgesch., bearb. v. H. Lieberich (191992);
 G. Köbler: Dt. Rechtsgesch. (51996).

Universal-Lexikon. 2012.

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